„Landwirt ist der wichtigste Beruf der Welt“

Dr. Marlen Wienert

Die BayWa AG engagiert sich in mehr als 40 Ländern in den Feldern Agrar, Bau und Energie. Seit Vereinsgründung unterstützt das Unternehmen „Unsere Bayerischen Bauern“.

Dr. Marlen Wienert, Vorstandsmitglied der BayWa AG, spricht mit uns über die Landwirtschaft der Zukunft, über die größten Herausforderungen für Bäuerinnen und Bauern – und über Entwicklungen, die sie alarmieren.

Sie haben Wirtschaftswissenschaften studiert – und starteten dann als Trainee bei der BayWa im Bereich Technik. Woher kommt Ihr Interesse für die Landwirtschaft?

Ursprünglich stamme ich aus Sachsen. Ich kam zur Promotion nach Weihenstephan und habe mich in meiner Doktorarbeit mit Marketing und Kommunikation in der Milchwirtschaft beschäftigt. Dafür war ich viel unterwegs, habe verschiedene milchverarbeitende Betriebe besucht. Im persönlichen Kontakt mit den Menschen und Tieren ist mir die Landwirtschaft immer mehr ans Herz gewachsen.

Später bei der BayWa habe ich lange im Marketing für Agrar und Technik gearbeitet. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Satz aus dieser Zeit: „Wir müssen unsere Kunden lieben“. Das habe ich durchaus wörtlich genommen: Mein Lebensgefährte ist Landwirt. Ich weiß also aus nächster Nähe, was es bedeutet, einen Hof zu bewirtschaften. Gleichzeitig gibt es mir enorme Kraft, wenn ich draußen bei den Tieren sein kann.


Kaum eine andere Branche hat mit so vielen Vorurteilen zu kämpfen wie die Landwirtschaft. Wie erklären Sie sich das?

Für mich ist der Beruf des Landwirts der wichtigste der Welt. Wenn wir Menschen nicht mehr genügend zu essen haben, ist alles andere irrelevant. Darum finde ich es schade, wie wenig Wertschätzung die Menschen in der Landwirtschaft häufig bekommen.

Ich erkläre mir das so, dass, zumindest hier in Deutschland, die Versorgung mit Lebensmitteln für die Mehrheit zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist: Man muss „nur“ in den Supermarkt gehen und findet eine große Auswahl.

Gleichzeitig kennen viele Verbraucher keinen einzigen Landwirt persönlich. Damit fehlt oftmals auch das Bewusstsein dafür, woher unser Essen kommt. Was es bedeutet, mit der Natur zu arbeiten. Worauf ein Landwirt alles achten muss, um uns Tag für Tag den Tisch zu decken. Weil wir aber alle jeden Tag essen, haben fast alle eine Meinung dazu, was „richtige“ Landwirtschaft heißt. Die Folge ist eine Mischung aus Teilwissen, Wunschvorstellungen, Missverständnissen und, wie Sie sagen, Vorurteilen. Diese richten sich häufig gegen „die“ Landwirtschaft als Konstrukt; was das aber mit den Landwirtinnen und Landwirten macht, gerät schnell aus dem Blick.

Ich finde es alarmierend, dass die Berufsgruppe Landwirte mit das höchste Risiko für Depressionen und sogar Suizidgedanken hat. Landwirt zu sein bedeutet eine große unternehmerische Verantwortung, auch finanziell. Kommt dann noch der soziale Druck hinzu, der die Arbeit der Landwirte nicht schätzt, sondern im Gegenteil als Umweltzerstörung und Tierquälerei vorverurteilt, gibt das vielen den Rest. Fast jeder zweite Landwirt ist psychisch belastet. Das kann uns als Gesellschaft nicht egal sein.


Der Verein „Unsere Bayerischen Bauern“ versteht sich als Moderator zwischen Verbraucher:innen und Vertreter:innen der Land- und Forstwirtschaft. Wir engagieren uns für mehr Akzeptanz, Verständnis und Wertschätzung für heimische Bäuerinnen und Bauern. Dabei setzen wir auf Transparenz und offenen Dialog. Warum unterstützt die BayWa unsere Arbeit? Und wie wichtig ist Ihrer Erfahrung nach Dialog?

Seit 1923, also seitdem es die BayWa gibt, ist sie eng mit den bayerischen Bäuerinnen und Bauern verbunden. Aus dem genossenschaftlichen Gedanken versorgen wir von Tag Eins an die Landwirte mit allem, was sie brauchen. Agrar ist also ein Teil unserer DNA – gemeinsam mit unseren Kundinnen und Kunden stellen wir die Nahrungsmittelversorgung sicher. Ich übertreibe nicht, wenn ich die BayWa innerhalb der Agrarhandelsbranche als Schwergewicht bezeichne. Dieses Gewicht wollen wir selbstverständlich auch nutzen, um in die Gesellschaft zu wirken, quasi als Botschafterinnen und Botschafter unserer Bäuerinnen und Bauern. Darum unterstützen wir Initiativen wie Unsere Bayerischen Bauern. Distanzen überwindet man nur, indem man Brücken baut – so, wie es UBB macht. Das Gute dabei ist, dass auch auf Seiten der Verbraucher das Interesse an der Landwirtschaft in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Als die Landwirte im Januar 2024 für ihre Belange auf die Straße gegangen sind, gab es dafür viel Verständnis und einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Auch in den Medien wird mittlerweile sehr viel häufiger und ausgewogen über landwirtschaftliche Themen berichtet.


Bei der BayWa haben Sie die Geschäftsbereiche Agrar und Technik schon vor Jahren zusammengeführt. Warum? Und welche Rolle spielen dabei die Lösungen der BayWa für eine zukunftssichere, nachhaltige Landwirtschaft?

Unsere Strategie im deutschen Agrargeschäft ist, zusammen zu wachsen. Ob Agrar oder Technik – wir arbeiten immer mit demselben Kunden, nämlich mit dem Landwirt. Es ist daher nur folgerichtig, den Landwirtschaftsbetrieb als Ganzes zu sehen und nicht getrennt nach Betriebsmitteln, Beratung oder Landtechnik. Und eingebunden in die BayWa-Gruppe, zu der unter anderem auch unsere Tochter BayWa r.e. AG mit ihrem Geschäft in den erneuerbaren Energien gehört, können wir sogar über Agrar und Technik hinaus Synergien schaffen. Landwirte sind ja nicht nur Nahrungsmittelproduzenten, sondern erzeugen häufig auch grünen Strom. Mit den Agri-PV-Anlagen der BayWa r.e. können sie beides auf einer Fläche verbinden – und in Zukunft sogar Regenwasser sammeln. Allein dieses Beispiel zeigt, wie komplex die Herausforderungen geworden sind. BayWa-Kunden profitieren heute schon von solchen Lösungen. Um sie aber breit an den Mann und an die Frau zu bekommen, müssen auch wir bei der BayWa „Denk-Silos“ weiter abbauen.


Die Landwirtschaft der Zukunft steht – weltweit und auch in Bayern – vor großen Herausforderungen. Welche sind Ihres Erachtens die größten?

Eine der großen Herausforderungen ist sicher der Umgang mit dem Klimawandel. Vier der fünf zurückliegenden Sommer waren zu trocken. Und auch der Sommer im Jahr 2023 war zu heiß, obwohl es Wochen gab, in denen es in Strömen geregnet hat. Diese Extreme sind heute Normalität. Die Frage ist also, wie wir die Landwirtschaft klimaresilient und damit die Betriebe zukunftsfähig machen.


Wie trägt die BayWa zur Lösung bei?

Agri-PV habe ich schon angesprochen. Durch Bewässerung können wir Trockenphasen überbrücken, auf der Basis von Satellitenbildern die Pflanzen sogar bedarfsgerecht gießen. Doch all das wirkt lediglich wie ein Pflaster auf einer Wunde, wenn wir nicht die Basis berücksichtigen: den Boden. Nur eine kluge Fruchtfolge, kombiniert mit Zwischenfrüchten und tierischen Exkrementen, führt dazu, dass unsere Böden wertvollen Humus bilden und klimaresilient bleiben. Im Übrigen binden gerade Weiden und Wiesen viel CO2.

Wir brauchen also einerseits die Tierhaltung für den Klimaschutz. Andererseits sehen wir aufgrund der wachsenden Nachfrage auf Verbraucherseite, dass in alternativen Proteinen viele Marktchancen für unsere Landwirte stecken. Darum verfolgen wir auch dieses Thema intensiv und erfassen im Vertragsanbau Soja, Erbsen und Kichererbsen – als Rohstoff für vegane Lebensmittel. Das eine zu tun, bedeutet also nicht, das andere zu lassen.


Wie begegnen Bayerns Landwirt:innen Ihres Erachtens diesen Herausforderungen? Und wie können Verbraucher:innen helfen?

Meinem Eindruck nach herrscht hier unter den Landwirten auch eine große Offenheit – wie selbstverständlich beschäftigen sich konventionell arbeitende Landwirte mit Lösungen aus dem Ökolandbau, weil sie ihre eigene Arbeit unterstützen könnten. Oder sie diskutieren Innovationen wie die zelluläre Landwirtschaft. Eine solche Offenheit wünsche ich mir auch von den Verbrauchern. Die Anerkennung, dass es keine einfachen Wahrheiten gibt, auch nicht in der Landwirtschaft. Und ganz wichtig: wieder mehr Wertschätzung für das, was unsere Bäuerinnen und Bauern für unser aller Wohl leisten.


Welche Bedeutung haben regionale Lebensmittel für Bayern – und für Sie persönlich?

Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist die Agrarlandschaft in Bayern eher kleiner strukturiert. Damit spielt hier die regionale Vermarktung eine größere Rolle als die Produktion für den Weltmarkt. Und davon profitieren wir alle. Es gibt einen starken vor- und nachgelagerten Bereich. Zum Beispiel Erzeuger von Saatgut oder Unternehmen, die Maschinen für die Landwirtschaft produzieren oder Betriebsmittel liefern. Es gibt regionale Mühlen, die Getreide und Ölsaaten annehmen und weiterverarbeiten und deren Abnehmer, die daraus Brot, Speiseöl und andere Lebensmittel herstellen. Diese regionale Wertschöpfung sichert Arbeitsplätze, spart dank kurzer Wege Energie und Emissionen, ist also ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig. Und sie kann die Basis für mehr Wertschätzung für die Landwirtinnen und Landwirte sein: Der Erzeuger „verschwindet“ nicht in der Anonymität seiner Branche, sondern wird gemeinsam mit seinem Produkt sichtbar. Meiner Meinung nach brauchen wir beides: Die Produktion für den Weltmarkt, um die Milliarden von Menschen auf dieser Erde zu ernähren. Und dort, wo es geht, brauchen wir regionale Nahrungsmittelproduktion und Wertschöpfungsketten.


Ergänzen Sie bitte diesen Satz: „Bayern ohne Bäuerinnen und Bauern …“

… ist wie ein Himmel ohne weiß/blau.